Überall sind heutzutage Lampen und Licht. Das bringt unseren Körper in seinem natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus schnell mal durcheinander, ebenso Nachtschichten oder Fernreisen mit Zeitumstellungen. Seit einiger Zeit gibt es nun schon Präparate in Form von Sprays, Kapseln oder Gummidrops mit dem Hormon Melatonin – oft ohne Rezept in Apotheken und Drogerien zu kaufen. Am späten Nachmittag oder Abend eingenommen, sollen die Präparate helfen, schneller müde zu werden und besser in einen erholsamen Schlaf zu fallen.
Was ist Melatonin?
Melatonin ist ein Hormon, das vor allem in der Zirbeldrüse aus dem Neurotransmitter und Hormon Serotonin vom Körper selbst produziert wird. Es ist zum Beispiel wichtig für die Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus und wird daher oft als „Schlafhormon“ bezeichnet oder auch als „Hormon der Dunkelheit". Denn die Menge an Melatonin, die der Körper produziert und freisetzt, hängt unter anderem von der Lichtintensität in der Umgebung ab. Mit Beginn der Dunkelheit wird vermehrt Melatonin ausgeschüttet und gibt dem Körper das Signal: Schlafen – die innere Nacht beginnt.
Positive Studiendaten
An der Erforschung des menschlichen Hormons Melatonin sind Wissenschaftler schon seit geraumer Zeit interessiert und haben auch viele interessante Daten zusammengetragen. Diese haben zum Beispiel ergeben, dass Melatonin
- die Frequenz der Hirnwellen erniedrigt und müde macht – was Menschen mit Jetlag und Schlafstörungen etwa nach einem Schichtdienst tatsächlich helfen kann.
- als natürliches Antioxidans und entzündungshemmende Substanz Prozessen entgegenwirken können, die der Sehfunktion schaden, etwa bei einer altersabhängigen Makuladegeneration (AMD).
- depressive Stimmungen und Merkfähigkeit (Kognition) bessert.
- möglicherweise sogar bei Alzheimerkranken den oft fragmentierten Schlaf verbessert.
Aktuelle Studie bremst die Euphorie um Melatonin
In einer groß angelegten Studie wurde nun untersucht, welche gesundheitlichen Konsequenzen eine langfristige Einnahme von Melatonin haben könnte. Die Ergebnisse wurden bei den Scientific Sessions 2025 der American Heart Association (AHA) im November 2025 vorgestellt. Das ernüchternde Ergebnis: In der Gruppe der Melatonin-Nutzer war das Risiko, eine Herzschwäche zu entwickeln, deutlich (um rund 90 Prozent) erhöht. Das Risiko, wegen dieser Erkrankung ins Krankenhaus zu müssen, war dreifach erhöht im Vergleich zu Nicht-Anwendern. Auch die Sterblichkeit war höher.
Für die Untersuchung waren die elektronischen Gesundheitsdaten von über 130.000 Erwachsenen mit chronischer Schlaflosigkeit analysiert worden, bei denen bislang keine Herzinsuffizienz diagnostiziert worden war. Dabei wurde über einen Zeitraum von fünf Jahren die Daten von Erwachsenen (Durchschnittsalter knapp 56 Jahre), die Melatonin mindestens ein Jahr lang einnahmen, mit denen von Menschen verglichen, die das nicht taten.
Die Forscher weisen allerdings darauf hin, dass mit dieser Auswertung zwar ein deutlicher Zusammenhang festgestellt worden sei. Damit sei allerdings noch nicht belegt, dass Melatonin tatsächlich die Ursache der gehäuft aufgetretenen Herzschwäche war. Die Studie muss zudem noch ein wissenschaftliches Gutachterverfahren vor der endgültigen Publikation durchlaufen.
Wer bei Melatonin vorsichtig sein sollte
Erst kürzlich haben Experten der US-amerikanischen Kardiologengesellschaft AHA in einer Stellungnahme gewarnt, dass die kardiometabolischen Risiken von Melatonin noch weitgehend unerforscht seien. Dabei erwähnten sie zum Beispiel Untersuchungen, wonach Melatonin bei Menschen mit Typ-2-Diabetes die Insulinresistenz erhöht und zu größeren Blutzuckerschwankungen geführt habe.
Bereits im September 2024 hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) gemahnt, Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel ohne ärztliche Rücksprache nur mit Vorsicht einzunehmen. Denn die Mittel könnten auch zu unerwünschten Wirkungen wie Tagesmüdigkeit, verringerter Aufmerksamkeit oder verlängerten Reaktionszeiten im Straßenverkehr oder an Arbeitsmaschinen führen. Außerdem könnten Blutdruckabfall, Kopfschmerzen, Albträume, Kraftlosigkeit oder Gangunsicherheit auftreten.
Das BfR rät daher in einer Begutachtung bei
- Menschen mit Einschränkungen der Leber- und/oder der Nierenfunktion,
- Personen, die unter Autoimmunerkrankungen oder Epilepsie leiden,
- Frauen mit Kinderwunsch, Schwangeren und Stillenden sowie
- Kindern und Jugendlichen
auf die Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln mit Melatonin zu verzichten. Menschen mit der Veranlagung, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, wird die Rücksprache mit ihrem Arzt empfohlen.
Außerdem sei zu beachten, dass bei der parallelen Einnahme von Melatonin und bestimmten Arzneistoffen Interaktionen auftreten können, die im Einzelfall die Wirkung der betreffenden Arzneimittel verändern könnten. Vor allem bei der Einnahme von Substanzen wie Fluvoxetin, Benzodiazepinen, Nicht-Benzodiazepin Hypnotika, Östrogenen, Chinolon-Antibiotika, Blutdrucksenkern und gerinnungshemmenden Arzneimittel sollte vor der Einnahme von Melatonin mit einem Arzt gesprochen werden.
- Abstract 4371606: Effect of Long-term Melatonin Supplementation on Incidence of Heart Failure in Patients with Insomnia; https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/circ.152.suppl_3.4371606
- Role of Circadian Health in Cardiometabolic Health and Disease Risk: A Scientific Statement From the American Heart Association; Circulation Oktober 2025; https://doi.org/10.1161/CIR.000000000000138
- https://www.bfr.bund.de/cm/343/melatoninhaltige-nahrungsergaenzungsmittel-bfr-weist-auf-moegliche-gesundheitsrisiken-hin-2024.pdf
Experte
- 60323 Frankfurt am Main
- info@herzstiftung.de
- www.herzzentrum-an-der-alster.de
Prof. Dr. med. Thomas Meinertz ist Kardiologe und Pharmakologe in Hamburg. Zu den Schwerpunkten des ehemaligen Vorsitzenden der Herzstiftung und langjährigen Direktors der Klinik und Poliklinik für Kardiologie und Angiologie des Universitären Herzzentrums Hamburg zählen insbesondere Herzrhythmusstörungen, die koronare Herzkrankheit und Herzklappen-Erkrankungen. Neben mehreren hundert wissenschaftlichen Fachpublikationen, die Prof. Meinertz für nationale und internationale Fachzeitschriften verfasst hat, ist der renommierte Kardiologe Chefredakteur der Herzstiftungs-Zeitschrift "HERZ heute" und Autor mehrerer Publikationen im Online-Bereich der Herzstiftung.
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